Entwurf einer Populärphilosophie |
VorwortEs gibt unter den philosophischen Texten, die sich an Laien richten, zwei Arten. Da sind zum einen all die Einführungen und Grundkurse, hinter denen die Idee steht, den Leser über den Erkenntnisstand des Fachs zu unterrichten. Die Verfasser legen ihre Aussagen nicht selbst fest, sondern wählen sie nur aus dem verfügbaren Fundus aus und formulieren sie im eigenen Stil. Festgelegt sind die Aussagen durch die Fachgemeinschaft mit ihren wissenschaftlichen Standards. Für den Leser ist dieses Prinzip sehr vorteilhaft, denn es minimiert die Gefahr, seine Zeit mit Unsinn und Verrücktheiten zu verschwenden. Der Lehrbuch-Ansatz leistet sehr gute Dienste in den Naturwissenschaften und anderen Fächern, in denen man sich über den größten Teil der Fragen weitgehend einig ist. Zu solchen Fragen kann jeweils eine einzelne klare Antwort gegeben werden, und dem Leser, welche Ziele auch immer er mit der Lektüre verfolgt, ist optimal gedient. Wenn sich die Fachleute dagegen in vielen Fragen uneins sind - und für die Philosophie ist das geradezu charakteristisch - dann treibt das Prinzip Lehrbuch hässliche Blüten und entfernt sich für einen Teil der potenziellen Leserschaft vom größtmöglichen Nutzen. Eine Antwort auf eine umstrittene Frage kann nach der Lehrbuch-Maxime nicht als einzige Antwort vorgebracht werden, das wäre unseriös. Sie ist kein anerkanntes Wissen, sondern nur eine unter mehreren Theorien. Zu lehren bedeutet in einem solchen Fall, die wichtigsten konkurrierenden Theorien unparteiisch nebeneinander zu stellen. Damit ist dem typischen Laien aber schlecht gedient. Er strebt nach Erkenntnis. Stellt man ihm ganz neutral eine Palette von Theorien vor, dann muss er sich zum Zwecke des Erkenntnisgewinns eine davon zu eigen machen. Die Entscheidung, die der Experte mit all seinem Wissen und seiner Übersicht nicht treffen wollte, wird so dem Laien überlassen. Das ergibt wenig Sinn. Richtig und falsch zu unterscheiden, ist eine der wesentlichen Aufgaben des Experten. Womöglich entscheidet sich der Laie sogar für einen Standpunkt, den fast jeder Experte der Gegenwart persönlich für Unsinn hält, und der nur deshalb noch überall erläutert wird, weil er existiert und nicht völlig widerlegt ist. Zweitens ist es für einen Text ohne eigene Position sehr schwer, Zusammenhänge zwischen verschiedenen Bereichen aufzuzeigen, zum Beispiel zwischen Ethik und Erkenntnistheorie. Wenn bei vielen Fragen die Entscheidung zwischen den denkbaren Antworten offen bleibt, entsteht eine regelrechte Matrix potenzieller Verbindungen. Drittens kann im lehrenden Text eine umstrittene Theorie nicht als einfache Aussage vorgebracht werden. Wenn die Theorie lautet, alle Raben seien schwarz, dann kann im Text nicht stehen: "Alle Raben sind schwarz". Um auch nur erwähnt werden zu können, muss die Theorie in den Status der Unstrittigkeit versetzt und dazu mit einem Rahmen aus Begleitinformationen umgeben werden. Typischerweise besteht dieser Rahmen aus einer Bezeichnung für die These oder Denkschule, den Namen von Vorreitern und Verfechtern, sowie eventuell Schilderungen historischer Begebenheiten. All diese Rahmeninformationen sind aber nur für den relevant, der mit anderen über Philosophie diskutieren möchte, nicht für den wahren "Verbraucher", der nur verstehen und entscheiden will. Die unvermeidlichen Rähmchen des philosophischen Lehrtextes dürften - in ihrer Sättigung mit erfundenen Wortungetümen bei gleichzeitiger praktischer Irrelevanz - eine der Ursachen für den Ruf der Philosophie als überflüssiges Geschwafel sein. In der Philosophie muss der Laie für die Vorteile des Lehrbuch-Prinzips also einen hohen Preis zahlen. Das heißt nicht, dass philosophische Lehrtexte anders geschrieben werden müssten, oder dass sie gar falsch und überflüssig sind. Sie haben ihren Sinn, denn für einen Teil der Leserschaft mit bestimmten Interessen bilden sie trotz allem den besten Kompromiss. Aber es bleibt daneben Raum für eine zweite sinnvolle Art von an Laien gerichteten philosophischen Texten, die mit einer anderen Ausrichtung andere Vorzüge bieten. Diese Texte verzichten auf den Anspruch, Wissen zu verbreiten. Dadurch wird es möglich, mit umstrittenen Fragen nicht nur zu spielen, sondern sie zu beantworten - nämlich so, wie es die Autoren für richtig halten. Der Nachteil ist offensichtlich: Im Gegensatz zum Lehrtext existiert hier kein vorgelagerter Mechanismus, der in irgendeiner Hinsicht inhaltliche Qualität sicherstellt. Der Text gibt nicht mehr wieder als die Meinung der Autoren, er kann beliebig wertloser Unsinn sein. Nicht einmal die Abgrenzung zur Religion ist ohne Weiteres klar. Und natürlich sind sämtliche Exemplare dieser Textgattung nach Lehrbuch-Kriterien unseriös, selbst die gelungensten und interessantesten. Wegen dieser Schwierigkeiten mag mancher das Konzept per se für verfehlt und überflüssig halten. Dem ist aber nicht so, im Gegenteil. Die Texte der zweiten Art bilden das, was fast jede Wissenschaft letztendlich braucht, um einen Nutzen für die Gemeinschaft zu entfalten: Produkte. Die Lehrtexte der Philosophie sind diese Produkte aus erwähnten Gründen nicht; sie sind es genauso wenig, wie eine Abhandlung über Geschichte und Herausforderungen des Automobilbaus ein Auto ist. In der Welt der Produkte ist es ganz normal, dass beliebig Schlechtes zunächst einmal hergestellt und angeboten werden kann. Der Mechanismus, der für Qualität sorgt, ist nachgelagert. Er besteht nicht in der Einigkeit aller Experten über Aufbau und Funktionsweise eines einzelnen Produkts, sondern im Wettbewerb verschiedener Produkte. Mit der Vorstellung als Produkt lässt sich recht gut das Ideal verstehen, das hinter philosophischen Texten der zweiten Art steht. Typische Eigenschaften von Produkten sind:
Daneben gelten für einen philosophischen Text, ob lehrend oder nicht, natürlich alle Grundsätze, die allgemein für jeden Sachtext gelten. Das Thema Philosophie führt nicht in ein Paralleluniversum, wo Schwulst und Selbstdarstellung erwünscht sind. Im Mittelpunkt stehen die Interessen des Lesers. Wichtig sind Verständlichkeit, geringer Spielraum für Interpretation, die Nachvollziehbarkeit der Gedanken. In dieser Systematik gehört der vorliegende Text zur zweiten Art. Da ich selbst kein Experte auf den betroffenen Gebieten bin, möchte ich ihn nur als Entwurf bezeichnen. Wie dargelegt, ist diese Art von Ausführungen mit kritischem Abstand zu lesen. Es wird hier kein Wissen vermittelt. Es gibt klare Antworten, es gibt Zusammenhänge, und es gibt Effizienz, aber das Ganze ist eben nach den bequemen Kriterien nicht richtiger als die größte Spinnerei. |